ACTA-Abkommen verpflichtet Internet-Provider als Piratenjäger
Von Bernd Kling am 4. November 2009
In den geheimen Verhandlungen für das internationale Anti-Piraterie-Abkommen macht die US-Regierung Druck auf andere Länder. Auf der Agenda stehen zwingende Verpflichtungen für ISPs sowie Netzsperren nach drei behaupteten Verstößen gegen das Urheberrecht.
Besonders absurd sind die vorgesehenen Netzsperren, als wäre der Internetzugang nicht längst eine notwendige Versorgungsleistung wie Elektrizität oder Wasser. Der Lobby der Medienkonzerne scheint es dennoch gelungen zu sein, die Verhandler der US-Regierung auf diesen Kurs zu bringen.
Der Abschnitt über das Internet im Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) ist geheim, da die Obama-Regierung die Veröffentlichung aufgrund von „Sicherheits“-Bedenken verweigerte. Wie andere Elemente des Abkommens wurden die Formulierungen des Entwurfs dennoch bekannt.
Eigentlich soll das Abkommen, über das seit 2007 unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt wird, Produktfälschungen verhindern. Bei den eingefügten Internet-Bestimmungen jedoch geht es, so die Electronic Frontiers Foundation (EFF), „um ein Bündel von Forderungen der Copyright-Industrie, die das weltweite Internet betreffen“.
Erstens sollen ACTA-Mitgliedsländer zu Gesetzesänderungen verpflichtet werden, die auch Dritte wie Internet-Diensteanbieter mitverantwortlich machen und damit selbst zum aktiven Einsatz gegen eventuelle Copyright-Verstöße zwingen. Die Internet-Provider als Copyright-Hilfspolizisten zu verpflichten, danach strebt die Content-Industrie der USA schon lange und möchte es jetzt offenbar über den ACTA-Umweg erzwingen. Wie Cory Doctorow ausführt, wären damit selbst etablierte Dienste wie Flickr, YouTube oder Blogger gefährdet.
Nach dreimaligen behaupteten Copyright-Verstößen sollen ISPs den Internet-Zugang für Betreffende sperren – schon aufgrund von Beschuldigungen von Medienunternehmen, ohne gerichtliches Verfahren nach rechtsstaatlichen Maßstäben. Ein Gesetz dieser Art wurde bereits nach mehreren Anläufen in Frankreich verabschiedet.
Drittens müssten ACTA-Länder Gesetze in der Art des Digital Millenium Copyright Act erlassen, der Provider zur umgehenden Löschung von Inhalten zwingen, sobald sich jemand als Copyright-Inhaber ausgibt und die Löschung verlangt. Gegenwehr und eine gerichtliche Überprüfung wären erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich. Zu verbieten wäre zudem jegliche Überwindung von DRM-Maßnahmen (Digital Rights Management), und das auch dann, wenn sie zu eigentlich gesetzlich zulässigen Zwecken erfolgte.
Diese Attacke der Copyright-Fundamentalisten betrifft ganz besonders auch Europa und noch bewahrte Freiheiten. PC World berichtet von einem Memo der EU-Kommission an die 27 Mitgliedsstaaten, das von IDG News eingesehen wurde.
Die Inhalte des ACTA-Abkommens greifen in die Gesetzgebung demokratischer Länder ein, werden aber wie eine streng geheime Verschlusssache behandelt. Der kanadische Rechtsprofessor und Spezialist für Urheberrecht Michael Geist ist beunruhigt über die Geheimhaltung, die den Bemühungen der Obama-Regierung um mehr Transparenz widerspreche: „Es ist ein Abkommen über geistige Eigentumsrechte, aber sie behandeln es, als ginge es um Atomgeheimnisse.“
(bk)
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Zum Thema im Web:
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Abbildung: Inserat der Columbia Copyright & Patent Co. Inc., Washington, D. C., erschienen 1906 in New York Clipper