Apple vs. Samsung: Hat die Jury gewürfelt?
Von Bernd Kling am 26. August 2012
Ein Urteil mit Patzern und Rechenfehlern
Nach nur 21 Stunden Beratung hat eine Jury im kalifornischen Patentprozess Samsung zur Zahlung von 1 Milliarde Dollar Schatzersatz an Apple verurteilt. Sie folgte damit Apples Vorwürfen auf ganzer Linie und entschied, dass Samsung geschützte Geschmacksmuster sowie Patente Apples mit vielen seiner Smartphones verletzte.
Vielleicht wollten die verbliebenen neun Geschworenen im kalifornischen Patentprozess ja nur rechtzeitig zum Wochenende zuhause sein. Das wäre zumindest eine Erklärung dafür, wie überraschend schnell sie rund 700 detaillierte Fragen auf einem 20-seitigen Fragebogen entschieden – und alles wie über einen Kamm geschert. Die umfänglichen Anweisungen auf weiteren 109 Seiten können sie gar nicht zur Kenntnis genommen haben. Sie hudelten sogar so sehr, dass ihnen offensichtliche Widersprüche entgingen und sie ihre Schadenersatzrechnung nachträglich korrigieren mussten.
Ein paar Millionen hin oder her
Wegen dieser Widersprüche mussten sie noch einmal zurück in ihren Beratungsraum und die Fehler ausbügeln, wie schon beim Liveblogging von The Verge zu erfahren. Dazu gehörten auch Ausstreichungen und eine neue Schadenersatzsumme, zu bestaunen im abgebildeten Ausschnitt des Fragebogens. Nicht dass es bei über einer Milliarde Dollar noch viel ausgemacht hätte, aber die zugrundeliegenden Fehler zeigen nachlässiges Vorgehen. Die Geschworenen hatten bei mehreren Geräten Samsungs keine Verletzung von Patenten oder geschützten Geschmacksmustern festgestellt, Apple aber für gleichen Geräte dennoch Schadenersatz zugesprochen. Sie verliehen damit grundlos Hundertausende oder auch mal zwei Millionen Dollar Schadenersatz. Würfeln wäre noch einfacher gewesen.
„Was stimmt nicht in diesem Bild? fragte die aufmerksame Pamela Jones von Groklaw und stellte weitere Ungereimtheiten zusammen. Dazu gehört beispielsweise, dass mit dem Galaxy Tab ein Apples iPad durchaus sehr ähnliches Samsung-Tablet der Jury zufolge Apples geschützte Geschmacksmuster (im Englischen „Design Patents“) nicht verletzte. Andererseits befanden sie aber, dass mit Epic 4G ein Samsung-Smartphone mit ausfahrbarer mechanischer Tastatur und vielen deutlichen Unterscheidungsmerkmalen eben diese Geschmacksmuster verletze.
Ein Patentinhaber als Sprecher der Geschworenen
Zum raschen Urteil zugunsten von Apple scheint insbesondere Velvin Hogan beigetragen zu haben, der zum Sprecher der Geschworenen gewählt wurde. Er soll sogar gegenüber einem Vertreter des Gerichts erklärt haben, dass die Juroren ihre Entscheidung erreichten, ohne die Anweisungen zu benötigen. Die 109-seitigen Anweisungen wurden völlig umsonst geschrieben? Selbst ein Anwalt meldete sich zu Wort und erklärte, er würde allein drei Tage benötigen, um sicher zu sein, die Grundbegriffe des 20-seitigen Fragebogens verstanden zu haben.
Es stellte sich auch noch heraus, dass der 67-jährige Hogan selbst im Patentwesen investiert ist als Inhaber eines Schutzrechts. Bei der Geschworenenauswahl berichtete er, sieben Jahre mit Anwälten zusammengearbeitet zu haben, um ein eigenes Patent für eine Software zur Videokompression zu erhalten.
Im Gespräch mit Cnet erzählte ein weiterer Geschworener freimütig, wie sehr sich die ganze Jury auf Hogan verließ und seinen Einschätzungen folgte:
„Er hatte Erfahrung. Er besaß selbst Patente. Am Anfang gab es eine hitzige Diskussion, aber es blieb höflich. Hogan hält Patente, daher ließ er uns an dieser Erfahrung teilhaben. Danach war es einfacher. Nachdem wir über dieses erste Patent diskutiert haben – gab es da Prior Art – weil wir uns schwertaten, zu glauben, dass es keine Prior Art gab, dass es da nichts gab vor Apple.“
Die Geschworenen ließen dann – so räumt es Jurymitglied Manuel Ilagan ein – sogar die Frage von „Prior Art“ ganz außen vor. Prior Art und damit schon zuvor vorhandene Technologien hätten es erlaubt, die Patente für ungültig zu erklären. „Wir haben das dann tatsächlich übersprungen“, fuhr Ilagan fort, „damit wir schneller weiterkamen. Es hielt uns nur auf.“
Schadenersatz ist nicht gleich Strafzahlung
Die an einem Freitagabend veröffentlichte Entscheidung verwirrte natürlich auch Journalisten und die von ihnen gerne zitierten „Experten“. Viele Mainstream-Überschriften schlugen beispielsweise mit „Milliardenstrafe“ und „Strafzahlung“ ein, obwohl es in einem zivilrechtlichen Verfahren um Schadenersatz ging. „Damages“ – einfach mal im Wörterbuch nachsehen.
Der Jury war das allerdings auch entgangen. Das verriet der Geschworenensprecher Velvin Hogan treuherzig gegenüber Reuters: „Wir wollten sichergehen, dass die von aus ausgesandte Botschaft nicht nur ein Klaps auf die Hand war. Wir wollten sichergehen, dass (die Summe) hoch genug war, um schmerzhaft zu sein, aber nicht unvernünftig.“
Nicht einmal der Sprecher nahm also die wiederholte Anweisung zur Kenntnis, dass es um reinen Schadenersatz ging, sollte eine Verletzung von Schutzrechten festgestellt werden. „Sie sollten nicht vergessen, dass von Ihnen verliehene Schadenersatzbeträge dafür gedacht sind, den Patentinhaber zu entschädigen und nicht dafür, den Rechtsverletzer zu bestrafen“, heißt es beispielsweise klar auf Seite 35 der Jury-Anweisungen (PDF, Seite 35).
Auf dem Weg zum Supreme Court
Samsungs Anwälte dürften sich über die geschwätzigen Juroren freuen, die jetzt ihre 15 Minuten Ruhm im Licht der Öffentlichkeit genießen. Je mehr sie darüber herauslassen, wie sehr sie ihre Pflichten verletzt haben in einem so bedeutenden Fall, umso besser sind Samsungs Chancen, eine Aufhebung des Urteils zu erreichen.
Samsung-Anwalt John Quinn hat bereits angekündigt, in Berufung zu gehen, sollte Richterin Lucy Koh das Geschworenenurteil nicht aufheben. Damit ginge der Fall an ein US-Bundesberufungsgericht, das sich zuvor schon teilweise in das Verfahren eingemischt hatte. Auf dieser Ebene ginge es vermutlich mehr um die Frage, wie breit Patente überhaupt angewandt werden sollen, eine unter Juristen stark umstrittene Frage.
Rechtswissenschaftler wie die vom Wall Street Journal zitierte Christal Sheppard von der University of Nebraska erwarten sogar, dass Apple vs. Samsung letztendlich beim Obersten Gericht der USA ausgetragen wird. Der Supreme Court hatte erst kürzlich zum Ausdruck gebracht, Patente sollten begrenzter angewandt werden, aber noch nie einen Fall von Softwarepatenten mit dieser weitreichenden Bedeutung verhandelt.