Das iPad ist da
Von Bernd Kling am 27. Januar 2010 4 Kommentare
Live im Yerba Buena Center Theater, San Francisco
„Wir wollen 2010 anstoßen, indem wir heute wirklich magische Produkte einführen.“
Sagt ein Steve Jobs, der noch nicht wieder zugenommen hat, aber einen gar nicht so ungesunden Eindruck macht. In gewohnter Manier berichtet er zunächst über die aufgelaufenen Erfolge. 250 Millionen iPods gingen bereits über die Ladentische, vor ein paar Wochen schon abgerechnet. 284 Apple Stores sind es inzwischen, die schon 50 Millionen Besucher anziehen konnten.
Im App Store stehen inzwischen über 140.000 Anwendungen bereit, mehr als 3 Milliarden Downloads waren bereits zu verzeichnen. Apple ist zu einem 50-Milliarden-Dollar-Unternehmen gewachsen nach 34 Geschäftsjahren. Die Einnahmen kommen aus den drei Produktlinien iPod, iPhone und Mac.
Will er uns damit sagen, dass heute die vierte kommt?
Ja.
Noch ein paar kleine Prahlereien, wie Apple Nokia, Samsung und Sony längst abgehängt habe mit den Umsätzen für mobile Geräte. Und dann ohne lange weitere Vorreden die Bestätigung des Tablets, das iPad heißt.
Zwischen Smartphone und Notebook
Es soll den Platz besetzen zwischen einem Notebook und einem Smartphone. Gut sein für Websurfen („die beste Surf-Erfahrung, die Sie jemals hatten“), E-Mail, E-Books, Games, Fotos, Videos und Musik. Und sich besser eignen dafür, da es sonst keine Existenzberechtigung hätte.
Jobs zeigt das Tablet und führt die Bedienung vor. Er zoomt hinein und führt Touchgesten vor wie auf einem iPhone. E-Mail kommt mit Pulldown-Menü hinzu, das sich im horizontalen Modus auf der linken Siete platziert, während die Nachricht rechts daneben erscheint. Er tippt auf eine PDF-Datei, die sich in einem neuen Fenster öffnen.
Zum Schreiben einer Nachricht öffnet sich eine virtuelle Tastatur in voller horizontaler Breite, die er „diese großartige Tastatur hier“ nennt. Jetzt kommt ein kleiner großer Unterschied zu iPhone und iPod touch: Er schreibt mit mehreren Fingern wie auf einer richtigen Tastatur, das Tablet wie ein Notebook auf dem Schoß platziert. Allerdings, Fehler bleiben nicht aus.
Steve Jobs blättert durch Fotogalerien und stellt ihre Synchronisation mit Mac wie Windows heraus. Er sitzt in einem bequemen Ledersessel und geht zu iTunes, das hier mehr wie auf dem Desktop als auf dem iPhone wirkt. Er hält das Tablet in der einen Hand, während er es mit der anderen bedient. Im iTunes Store besichtigt er Filme, TV-Serien, Podcasts und Audiobooks.
Auch der Kalender wirkt mehr wie vom Desktop entliehen. Die Kartenanwendung basiert auf Google Maps, wenn auch nicht namentlich erwähnt.
Er sieht sich einen Film an und meint, das sei so viel gemütlicher, als etwas auf einem Notebook anzusehen. Mit Pixars „Up“ machte er noch ein wenig Eigenwerbung, schaltet um auf „Star Trek“.
Die Hardware
Und jetzt zur Hardware. Gerade mal etwa 1,3 cm dünn, wiegt knapp 700 Gramm. IPS-Display mit einer Diagonale von 9,7 Zoll. Jobs verspricht höchste Bildqualität und weiten Betrachtungswinkel. Es ist ein kapazitiver Multitouch-Screen wie beim iPhone, laut Jobs superschnell reagierend und extrem präzise.
Als Prozessor dient eine Eigenentwicklung Apples, sagt er und bestätigt damit weitere Gerüchte. Er taktet mit 1 GHz. An Massenspeicher sind 16, 32 oder 64 GB verfügbar.
Mit drin sind WLAN 802.11n und eine aktuelle Bluetooth-Version. Von schneller Mobilfunkanbietung ist (noch?) nicht die Rede. Neigungserkennung, Kompass, Lautsprecher, Mikrofon.
Eine Akkulaufzeit von satten 10 Stunden verspricht der Prophet: „Ich kann von San Francisco nach Tokio fliegen und die ganze Strecke Videos ansehen.“ Gut, wer das braucht. Die Standby-Kapazität reicht angeblich für mehrere Wochen.
Apps und Games
Apple-Vize Scott Forstall löst Jobs ab, um über die Software von Drittanbietern zu reden. Auf dem iPad laufen „praktisch alle“ Anwendungen, die für das iPhone geschrieben wurden, „so gut wie unverändert“.
Mit einem kleinen und einfachen Trick. iPhone-Apps laufen eingemittet im größeren Display, können aber auch zu voller Displaygröße aufgeblasen werden. Ein neues SDK für die Entwickler ist ab heute verfügbar mit zusätzlicher Unterstützung für das iPad, um sie für das Gerät mit dem größeren Display optimieren zu können.
Forstall legt ähnlich überschwänglich los wie Jobs und erzählt von Spielen, die „unglaublich fließend“ ablaufen sollen auf Apples Tablet. Er verspricht den App-Programmierern Schotter ohne Ende: „Wir glauben, dass es einen weiteren Goldrausch für Entwickler geben wird, während sie Apps für das iPhone entwickeln.“
Mark Hickey von Gameloft führt ein Demo des Shooters Nova vor mit einer Minikarte des Spiels. Granaten sind zu werfen mit einer Zweifinger-Geste quer über das Display (zwei Finger zeigen bekommt eine ganz neue Bedeutung). Eine Dreifinger-Geste öffnet eine Luftschleuse. Travis Boatman von Electronic Arts folgt mit dem Rennspiel Need for Speed, zu steuern dank Bewegungserkennung. Chad Evans von MLB.com führt ein Live-Spiel vor.
Die Mal-Anwendung „Brushes“ schließlich rechtfertig das Einladungsmotiv Apples.
E-Reader iBooks
Steve Jobs kehrt zurück, der gleiche Steve Jobs, der noch vor Jahren einen E-Book-Reader mit der Begründung abtat, „die Leute lesen doch schon lange nicht mehr“. Da ahnten wir doch schon, dass er wiederkehren und wie jetzt eben verkünden wird, dass Apple einen E-Book-Reader hat und damit den Amazon-Reader Kindle übertrumpft.
Mit iBooks, dem Reader für das Tablet. Dazu gibt es einen neuen iBook Store, um elektronische Bücher im ePub-Format direkt auf das iPad zu downloaden und zu lesen. Mit an Bord sind die ersten fünf führenden Verleger, darunter HarperCollins, Penguin sowie Simon & Schuster.
Läuft alles ganz ähnlich wie im iTunes Store. Mit Leseproben und Download in ein virtuelles Buchregal. Antippen links zum Zurückblättern, rechts zum Weiterblättern. Schriftgröße jederzeit zu verändern, Buchtexte zu ergänzen mit Fotos, Videos oder was immer.
iWork
Ein Gerücht nach dem anderen fällt an den richtigen Platz und bewahrheitet sich. Die Entwickler der Bürosuite iWork waren im letzten Jahr damit beschäftigt, ihre Software für das iPad anzupassen mit neuen Versionen von Keynote, Pages und Numbers, die alle aus der horizontalen Darstellung arbeiten. Apples Marketing-Vize verspricht spielend leicht erstellte Grafiken und Diagramme, Präsentationsfolien im Vorübergehen. Ein bisschen arbeiten, ohne wirklich zu arbeiten.
Die Anwendungen kosten jeweils 9,99 US-Dollar, sind kompatibel mit Mac-Versionen und könen Projektoren ansteuern.
Der Preis
Alle iPads unterstützen WLAN, einige auch schnelle Datenverbindungen mit UMTS (HSDPA). Für die gibt es zwei Pauschaltarife, die Steve Jobs „absolute Hammerpreise“ nennt: Bis 250 MB monatlich 15 US-Dollar, unbegrenzt (was immer das tatsächlich bedeutet) 30 Dollar. Nicht zwangsweise gebunden an einen Laufzeitvertrag und ohne SIM-Lock, anders als beim iPhone. Über das iPad zu aktivieren, jederzeit zu kündigen.
Und der Preis ist … 499 US-Dollar mit 16 GB Speicher, WLAN integriert. Mit 32 GB Speicher 599 Dollar, mit 64 GB 699 Dollar. Mit UMTS-Datenverbindung kommen noch jeweils 130 Dollar drauf.
Lieferbar in 60 Tagen, 3G-Modelle einen Monat später.
In den USA arbeitet Apple auch beim iPad mit AT&T zusammen, noch immer exklusiver Mobilfunkpartner für das iPhone. Apple hofft, bis Juni internationale Abmachungen in trockene Tücher zu bringen. Apple wird alle 3G-Modelle ohne SIM-Lock liefern.
Das Zubehör – und was fehlt
Zubehör gibt es auch noch. Ein Dock macht aus dem Tablet einen Videobetrachter oder einen digitalen Bilderrahmen. Und als überraschende Ergänzung noch eine echte mechanische Volltastatur, die zugleich als Dock fungiert und das iPad auch zu laden vermag.
Nachdem wir uns aus Steve Jobs‘ Realitätsverzerrungsfeld entfernt haben, wären noch ein paar Kleinigkeiten nachzutragen, die gar nicht erst erwähnt wurden, da nicht vorhanden:
Natürlich keine austauschbare Batterie. Die glänzende Hülle des iPad wird auch nicht etwa durch einen Speicherkarten-Slot durchbrochen, um den Speicher mühelos erweitern zu können. Keine Kamera, weder für Fotos noch für Video. Und Flash, unverzichtbar für Webvideos und viele Webseiten, musste draußen bleiben wie beim iPhone.
(bk)
Abbildungen: Apple
Wow, ein Riesen-iPhone :-))) Wer hätte das gedacht? 😉
Im Ernst, es ist mit Sicherheit besser als alle anderen Tablets was Verarbeitung und das UI angeht…aber wer braucht sowas? Was soll das? Ich komme nicht dahinter und kenne niemanden, der es versteht…
Viel Lärm um Nichts würde ich hier sagen…das Schlimme ist, selbst Die Bild-Zeitung hat im Minutentakt davon berichtet…soweit ist es schon gekommen 😉
@Thomas: wozu braucht man Schmuck??
– Trotzdem werden die Klunker gekauft wie sonst etwas – je teuer, desto besser!
Ich halte das Gerät für eine wirklich sehr nette Spielerei. Allerdings bekommt man Netbooks bereits für sehr viel billiger. Die sind zwar nicht ganz so mobil und kommen auch in den restlichen Punkten nicht annähernd an das iPad heran, sind dafür aber im Preis/Leistungs-Verhältnis meiner Meinung immer noch etwas besser.
Ein iPad im Kontext von eBook-Readern zu nennen ist ziemlich falsch. Natürlich kann man, wenn man keinen Wert auf Komfort legt und die Lichtverhältnisse gut sind (also zum Beispiel nicht draußen, wenn die Sonne scheint), auch ganze Bücher auf einem Computerbildschirm oder eben dem iPad, der ein ganz traditionelles Leucht-Display hat, lesen. Doch kaum jemand, der je den Lesekomfort mit einem echten eBook-Reader mit e-Ink-Technologie (Kindle, Sony Book Reader) genossen hat, wird sich diese Qual antun wollen.
Dass die Marketing-Maschinerie von Apple nun versucht, den iPad, der sonst als Tablet-PC mit stark eingeschränkter Funktionalität zu betrachten ist, auch noch als e-Book-Reader zu positionieren, ist eher lustig. Vor ein paar Jahren hätte das funktionieren können, aber anscheinend hat man bei Apple die Fortschritte bei der e-Ink-Technologie vollständig verschlafen.
Bester Artikel zum iPad den ich bissher gelesen habe. Es zeigt sich mal wieder, dass dein Blog echt Spitze ist!