Foltern als Game Show

Von am 17. März 2010  

Ein Experiment beweist die Autorität des Fernsehens

Ein französischer Dokumentarfilmer ließ sich einfallen, das bekannte Milgram-Experiment zeitgemäß zu wiederholen. Waren es vor rund 50 Jahren Wissenschaftler, deren vorgebliche Autorität Versuchpersonen dazu brachte, ihr Gewissen über Bord zu werfen und ihren Mitmenschen im vermeintlichen Dienste der Wissenschaft immer stärkere Stromstöße zukommen zu lassen, setzte Filmemacher Christophe Nick für seine Dokumentation „Le jeu de la mort“ („Das Spiel des Todes“) – sie wird heute im staatlichen französischen Sender France 2 ausgestrahlt – auf die Akzeptanz der TV-Autoritäten.

Er inszenierte eine fiktive Fernseh-Show namens „La Zone Xtrême“ und engagierte dafür einen Schauspieler, der die schmerzhaften Erfahrungen eines mit Elektroschocks gequälten Kandidaten überzeugend spielte. Als in einer Kabine eingesperrter Kandidat Jean-Paul bekam er Stromschläge, die seine Mitspieler ihm für falsche Antworten auf Quizfragen zukommen ließen. Die Elektroschocks reichten von 20 Volt bis zu absolut lebensgefährlichen 460 Volt, ließen den gequälten Kandidaten immer lauter aufschreien und um ein Ende des Spiels flehen, bis er schließlich verstummte.

Die Kandidaten glaubten dank der bekannten Moderatorin Tania Young, gleißenden Scheinwerfern und tosendem Publikum tatsächlich, sich in einer realen Quizshow zu befinden. Sie ließen sich von der charmant lächelnden Moderatorin immer wieder drängen, Hebel mit noch höheren Voltzahlen umzulegen. Auch das Publikum, das ebenfalls an eine echte Show glaubte, zog mit und feuerte die Kandidaten zu immer mehr Bestrafung an.

Obwohl sie selbst es eigentlich nicht wollten, taten es die Mehrzahl der Mitspieler bis zur höchsten Voltzahl, die einem Todesurteil gleichkam. Dennoch taten sie, sogar ohne finanziellen Anreiz, was für die TV-Unterhaltung von ihnen erwartet wurde. Nur 16 von 80 Teilnehmern verweigerten sich dem sadistischen Spiel. Das Ergebnis übertraf sogar das Experiment, das Stanley Milgram Anfang der 60er Jahre mit Studenten der Yale University unternahm, die an vorgespielten wissenschaftlichen Versuchen teilnahmen und durch wissenschaftliche Autoritäten zu unmenschlichem Handeln verleitet wurden.

Bei Milgram waren es 62 Prozent der Versuchsteilnehmer gewesen, die einer menschenverachtenden Autorität gehorchten. Die Macht des Fernsehens erwies sich – selbst zur Überraschung anwesender Psychologen – als noch stärker, denn die TV-Moderatorin brachte sogar 80 Prozent der Teilnehmer zum Mitmachen bis zum bitteren Ende.

„Sie sind nicht darauf eingerichtet, den Gehorsam zu verweigern“, erklärt sich Regisseur Nick das Ergebnis, das auch ihn überraschte. „Sie wollen es nicht tun. Sie versuchen die Autoritätsfigur zu überzeugen, dass sie aufhören sollten, aber sie können es nicht.“

Abbildungen: France 2

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