Nvidia: Lieferengpässe oder Game over?
Von Bernd Kling am 8. Oktober 2009
Einem Insider-Bericht zufolge wird sich Nvidia aus dem Markt für mittlere sowie High-End-Grafikkarten zurückziehen (müssen). Nvidia-Watcher Charlie Demerjian sieht den GPU-Hersteller nach schweren Managementfehlern in Gefahr.
Demerjian schrieb früher für den britischen Inquirer und war schon damals gefürchtet für seine treffsicheren Enthüllungsgeschichten über die Chip-Branche. Besonderes Aufsehen erregte sein Bericht über problematische Materialverbindungen in mobilen Nvidia-GPUs, die zu massenhaften Grafikausfällen in Notebooks verschiedener Hersteller führten. In seiner eigenen Publikation SemiAccurate führt er diese unbestechliche Tradition fort und hat schon länger Nvidia im Visier.
Was Nvidia Lieferengpässe durch überraschend große Nachfrage nennt, definiert er knallhart als einen erzwungenen Rückzug aus ganzen Marktsegmenten. „Nvidia killt GTX285, GTX275, GTX260, gibt den Markt für mittlere und High-End-Grafikkarten auf – voller Rückzug, kann nicht mit ATI konkurrieren.“
Auch die GTX 295 werde mit Sicherheit folgen. Der Rückzug erfolge aufgrund schwerer Fehler bei der Entwicklung, fast die gesamte Produktpalette der Firma sei bereits unter Wasser, und Missmanagement scheine das Ende des Unternehmens zu bedeuten.
Die Behauptungen stützen sich auf „Quellen tief im Inneren von 2701 San Thomas Expressway“, der Firmenzentrale von Nvidia. Die OEM-Hersteller seien bereits über die EOL-Termine (Ende der Produktlebensdauer) für die genannten Grafikkarten zwischen jetzt und Dezember informiert worden. Eine Überlebenschance hätte vielleicht noch die GTX295, als komplette Karte von Nvidia zu beziehen.
Charlie Demerjian spitzt den Bericht in seiner gewohnt polemischen Art zu: Nvidia-Chef Jen-Hsun sei sogar mit einem auf einen symbolischen US-Dollar reduzierten Gehalt noch überbezahlt. Nur noch ein komplett ausgewechseltes Management oder eine Übernahme könnten Nvidia retten – oder Game over.
Nvidia dementiert, aber …
Nvidia dementiert die Geschichte natürlich und kontert zugleich mit einer heftigen Unterstellung. In einer E-Mail ließ Ken Brown, ein PR-Mann von Nvidia, diese entnervte Äußerung ab: „Daran ist überhaupt nichts wahr. Charlie ist jetzt eine Site, die von einem einzigen Inserenten gesponsort wird. Es ist kein Zufall, dass seine Website wie eine AMD-Anzeige aussieht.“
Diese Aussage eines Nvidia-Mitarbeiters stimmt nicht. Ein schneller Blick zu SemiAccurate zeigt mindestens drei verschiedene Werbemotive, dabei nur eines von AMD. Dieses Irgendwie-Dementi erinnert mich jetzt stark an die Dementis deutscher AMD-Sprecher anlässlich eines früheren Charlie-Coups. Er hatte im Frühjahr 2008 völlig richtig – sogar mit noch zu niedrigen Zahlen – von einer Krise und einer bevorstehenden Entlassungswelle bei AMD berichtet. Die falschen Dementis von AMD tauchten damals bei Heise News und Golem auf, woselbst heute die Dementis von Nvidia zu lesen sind. Und warum kommt mir das so bekannt vor?
Full disclosure: Ich hatte das große Vergnügen, zahlreiche Beiträge Charlies für die damalige deutsche Ausgabe des Inquirer zu adaptieren. Ich kann mich nur an eine Geschichte erinnern, bei der er nicht recht behalten sollte. Das sieht nicht gut aus für Nvidia.
(bk)
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Abbildung: blazor85 / CC