Smartphones: Wie Nokia den Anschluss verlor
Von Bernd Kling am 27. September 2010
„Management im Sowjetstil“
In den USA ist der einstige Marktführer Nokia so gut wie aus dem Smartphone-Markt gefegt mit einem nur noch einstelligen Marktanteil. Weltweit liegt Nokia in den Stückzahlen noch vorn, hat aber im High-End-Bereich schon lange keine attraktiven Angebote mehr. Nach aktuellen Marktprognosen wird der finnische Hersteller in den kommenden Jahren auch global durch Geräte mit Googles Android OS überflügelt.
Es hätte nicht so kommen müssen, Nokia musste sich nicht von Apples iPhone und Googles Android überrumpeln lassen. Tatsächlich hatte Nokia schon Jahre vor der offiziellen Vorstellung von Apples iPhone den Prototypen eines Smartphones mit Touchdisplay und Internetverbindung entwickelt. Er wurde 2004 Geschäftskunden in der Firmenzentrale im finnischen Espoo vorgeführt – aber nie produziert. Nebenbei wies Nokias Management das frühe Konzept eines App Store zurück – wiederum drei Jahre, bevor Apple damit Erfolge feiern konnte.
Das und mehr packten jetzt drei frühere Mitarbeiter Nokias aus, nachdem sie lange Jahre darunter litten, dass Nokia zukunftsweisende Innovationen in bürokratischen Prozessen versanden ließ. Es war „Management per Komitee“, berichtet Juhani Risku, Entscheidungsfindung im Stil einer „Sowjet-Bürokratie“. Er war von 2001 bis 2009 bei Nokia für das User Interface Design von Nokias Smartphone-Betriebssystem Symbian verantwortlich. Sein Team bekam von 500 Verbesserungsvorschlägen nicht einen einzigen durch. Auch das von Risku schon 2002 vorgeschlagene 3D-Interface wurde verworfen – wegen Mehrkosten von weniger als 2 Euro je Gerät. Andere Unternehmen waren in dieser Zeit beweglicher und weniger knausrig.
Nicht besser erging es Kai Nyman, unter anderem für Internetdienste und die Weiterentwicklung des Smartphone-OS verantwortlich. Er beklagt ebenfalls das zögerliche und übervorsichtig agierende Unternehmen: „Wir hatten genug Jahre Zeit, um Symbian besser zu machen. Wir hätten den ganzen Code mehrmals komplett neu schreiben können. Wir hatten die Mittel und die Leute. Aber wir haben es nicht getan.“
Ari Hakkarainen war im Entwicklungsteam für Nokia Series 60 für das Marketing verantwortlich und erklärt, wie Nokia einen Prototypen entwickelte, aber dennoch die Chance vergab, Apples iPhone zuvorzukommen: „Es war noch in einer frühen Phase, und niemand wusste wirklich etwas über das Potenzial des Touchscreens. Und die Produktion des Geräts wäre teuer gekommen, daher war es für Nokia mit mehr Risiko verbunden. Das Management ging wie üblich vor und killte das Projekt.“
Die drei Mitarbeiter zeichnen das Bild eines Unternehmens, das sich selbstzufrieden auf seinen Erfolgen ausruhte, jedes Risiko scheute und nur noch behäbige Weiterentwicklung zuließ. Nokia-Sprecherin Arja Suominen darf das offenbar heute noch nicht wahrhaben wollen. Sie äußerte sich nicht weiter zur Kritik der früheren Mitarbeiter und spielte stattdessen ihre Rolle herunter als „Manager mit einzelnen Aufgaben oder Leiter von kleinen Teams“.
Abbildung: 3GStore.de (Iphone 3G) CC / Nokia (N900) / (Montage: TecZilla)