Verlegerträume mit Iphone, Kindle und Google
Von Bernd Kling am 9. Dezember 2009
Die Verlagsstrategen sind unsanft erwacht im digitalen Zeitalter und entfalten hektische Aktivitäten. Nachdem ihre Druckerzeugnisse liegenbleiben, hoffen sie weiter auf freudig zahlende Kunden für die gleichen Inhalte – vor allem auf Geräten, die erst noch kommen sollen. Mit peinlichen Versuchen, zahlende Leser zu animieren.
„WELTapp legt tollen Start im AppStore hin“, klopft sich Springers „Welt“ selbst auf die Schulter, um ihren Lesern den erwünschten Erfolg der eigenen Zeitung als zahlungspflichtige Anwendung für das Iphone nahezubringen. Es folgt eine Bildergalerie mit Erlebnisgarantie: „So haben Sie noch nie mobil gesurft.“
Noch Zeitung oder schon Werbeprospekt? Aus einem kurzen Antesten bei Spiegel Online zitiert die Welt nicht etwa die beobachteten „Peinlichkeiten und technischen Probleme“, sondern nur die alarmistische Schlussfolgerung: „Wenn die Kunden dafür nicht zahlen, hat die Medienbranche ein echtes Problem.“ Hätte auch dieses Hamburger Nachrichtenmagazin, denn es setzt ebenfalls auf eine Iphone-App, dessen Preis nicht übermäßig weit von einer Printausgabe entfernt ist.
Schüttelspiele mit dem Iphone

Bild zum Wegschütteln
Die Bild-Leser dürfen dafür ihr Iphone schütteln, falls sie sich nicht gleich selbst schütteln sollten, um so dem „Bild“-Girl ein Kleidungsstück nach dem anderen zu entreißen. Und was meinen eigentlich Apples App-Zensoren dazu, die dem Magazin Stern eine harmlose Galerie von Erotik-Bildchen übelnahmen und den Stern vorübergehend aus dem App Store warfen? Das geschüttelte Iphone stöhnt auch noch zu jedem weggeschüttelten Fetzen Kleidung vernehmlich „Ahhh“ und „Ooops“. Gut, dass sich Apples Iphone mit einer Hand bedienen und auch schütteln lässt.
Aus der Programmbeschreibung der Axel Springer AG im App Store: „Doch die BILD Premium-App kann noch viel mehr. Erleben Sie ab sofort die Revolution des Nachrichtenlesens!“
70 Prozent sind mehr als 30 Prozent
So tief sind die führenden fünf US-Verlagskonzerne noch nicht gesunken. Condé Nast, Time Inc., Hearst Corporation, Meredith und auch die News Corp. von Medienzar Rupert Murdoch haben sich zu einem Konsortium zusammengetan, um eine Software zu schaffen, die ihre Zeitschriften und Zeitungen nicht wirklich verändern, aber wieder gewinnbringend machen sollen, auch wenn sie auf digitalen Geräten durchgeblättert werden.
Die Software ist vor allem für Geräte gedacht, die es noch gar nicht gibt. Wie etwa E-Book-Reader, die mehr bieten als die statischen Graustufen-Geräte von heute. Smartphones, die fortgeschrittener sind als alles, was heute zu kaufen ist. Am Horizont erscheint schließlich strahlend der Tablet-PC von Apple, den viele als Medientablet erwarten.

Lesen mit einem Tablet von Time Inc?
Branchenbeobachter sehen das Verlegerbündnis auch als eine Kampfansage an Amazon. Der Online-Buchhändler bezahlt für E-Books etwa die Hälfte des Verkaufspreises, behält bei den ebenfalls auf dem E-Reader Kindle verfügbaren Zeitungen und Zeitschriften jedoch 70 Prozent der Erlöse ein und gibt den notleidenden Verlegern nur 30 Prozent ab. Da erscheint das Angebot von Apple vergleichsweise lukrativ. Apple behält für über den App Store verkaufte Anwendungen selbst einen Schnitt von 30 Prozent ein und zahlt immerhin 70 Prozent aus.
Der Chef des Verlagskonsortiums ließ außerdem durchblicken, dass es nicht nur darum geht, zahlende Leser zu gewinnen, sondern auch um besser bezahlte Werbung. Die Werber zahlen für Online-Inserate noch immer deutlich weniger, als sie für die Werbung auf bedrucktem Papier zu bezahlen gewohnt sind.
Bikini-Mädchen zum Be-Touchen
Aufschlussreich ist auch das Videodemo, mit dem das Konsortium die eigenen Anstrengungen illustriert. Es zeigt eine Ausgabe von Sports Illustrated, die nicht etwa auf dem geheimnisumwobenen Apple-Tablet abläuft, sondern auf einem Touchscreen-Tablet, das einfach nur aussieht wie ein übergroßes Iphone. Mit „Time Inc“ prangt vielmehr der Name des Verlags auf dem Gerät aus der Photoshop-Manufaktur.

Sports Illustrated Swimsuit Edition: Bikini-Mädchen animiert
Das digitale Magazin Sports Illustrated besteht aus den Seiten des Printmagazins, durch das ein wenig interaktiv zu blättern ist – und dazu wird eine besondere Zugabe versprochen. Vielen Amerikanern ist Sports Illustrated vor allem ein Begriff für die legendäre jährliche Swimsuit-Ausgabe mit Bikini-Mädchen, die zumindest für US-Verhältnisse immer schon ein wenig freizügiger sein durften. Man arbeite daran, verspricht der Verlag, die Bikini-Schönheiten lebendig zu machen und in Live-Action zu zeigen, auf E-Readern, Smartphones und anderswo. Hm, gar nicht schütteln, nicht mal ein wenig vibrieren?
Update-Journalismus mit Living Stories
Vermutlich nicht ganz zufällig stellte Google am gleichen Tag einen experimentellen Dienst aus den Google Labs vor, mit dem Zeitungen ihre Nachrichten mal wieder in ganz neuen Formen weitergeben dürfen. Nicht nur ein Schnellschuss aus dem Labor, vielmehr waren Washington Post sowie New York Times an der Entwicklung von Living Stories beteiligt und präsentieren darin als Erste ihre Inhalte.
Laut einem Google-Blogpost geht es um Experimente mit einem „unterschiedlichen Format, um die Berichterstattung online zu präsentieren“. So gebe es zum Beispiel in einem typischen Nachrichtentext reichlich Wiederholungen, da Informationen aus früheren Berichten mit aufgenommen werden, und das wiederhole sich und wiederhole sich und wiederhole sich.
Living Stories hingegen sollen alle wesentlichen Entwicklungen zu einer Geschichte in einer URL zusammenfassen, um einzigartige Vorteile im Online-Publishing zu nutzen. Die Idee hinter Living Stories ist, ein Nachrichtenthema nach seiner laufenden Entwicklung zu organisieren, Veränderungen durch Hervorhebungen sichtbar zu machen, Überblick zu vermitteln mit einer Timeline. So revolutionär sich das anhört, die ersten Living Stories beeindrucken nur wenig.
Sichtlich erfreut sind die Verleger dennoch auch über Living Stories, bei der beteiligten Washington Post kommt sogar ein Anflug von Euphorie auf: „Indem die Storys Tag um Tag unter einer Webadresse gruppiert werden, könnten Times und Post ihre Google-Rankings steigern, was wiederum diese Seiten ganz nach oben bringen könnte bei der Suche nach diesem Thema.“
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Fast noch aufschlussreicher ist eine Erkenntnis von R. B. Brenner, einem leitenden Redakteur der Washington Post, nachdem ein halbes Dutzend Google-Mitarbeiter mehrere Tage im Newsroom der Zeitung verbrachten und die Arbeit der Redakteure mit Videokameras dokumentierten wie auf einer archäologischen Expedition:
„Die Kultur von Google ist eine Kultur der Entwickler. Wir leben in verschiedenen Welten.“
(bk)
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Screenshots: Itunes / Axel Springer / Sports Illustrated