Was radikal anders ist bei Chrome OS
Von Bernd Kling am 20. November 2009
Chrome OS in der Nahaufnahme: Es ist ein radikal neues Konzept ohne Kompromisse. Es kennt keine lokalen Anwendungen, es läuft nur mit der von Google vorgegebenen Hardware. Der Desktop ist passé.
Da steckt ein Stück Apple drin in der Einschränkung unterstützter Hardware. Zugleich erlaubt sich Google, womit Microsoft niemals durchkäme: Die praktisch unlösbare Koppelung von Betriebssystem und Browser. Drittanbieter dürfen auch Anwendungen schreiben, aber natürlich nur Webanwendungen, wie sie Google selbst bietet. Der Sinn von Google Chrome OS besteht vor allem darin, den Trend zu Cloud Computing weiter zu beschleunigen und die Benutzer mitzunehmen in die Wolken, in denen Google zuhause ist.
Was das Google bringt? Ach, rein gar nichts, daran denken wir noch lange nicht, gibt sich Googles Mitbegründer Sergej Brin ganz bescheiden: „Vielleicht sind wir dumme Geschäftsleute. Aber wir konzentrieren uns auf die Bedürfnisse der Benutzer, statt über Strategien bezüglich anderer Firmen nachzudenken oder was auch immer.“
Googles Vice President Sundar Pichai, für die Produktentwicklung verantwortlich, deutet die indirekten Gewinnerwartungen an. Auf die Frage, was Werbung für eine Rolle spiele beim neuen Betriebssystem, ließ er wissen: „Wir befinden uns in der angenehmen Situation, dass es unserem Unternehmen nutzt, wenn das Web besser wird und die Leute das Web zunehmend nutzen.“
Google lebt von der Online-Werbung, ist ein Werbeunternehmen. Kostenlose Dienste und Software locken die Nutzer, bezahlt wird letztlich aber mit Aufmerksamkeit für die Werbung. Ein einfaches und wirksames Geschäftsmodell, das traditionelle Geschäftsmodelle bedroht. Microsoft, Apple und alle anderen werden sich schwer tun, darauf eine Antwort zu finden.
Chrome als Betriebssystem ist nur ein weiterer Schritt in diese Richtung, aber ein konsequenter.
Die kommenden Netbooks mit Chrome OS sind dezidierte Maschinen für Cloud Computing. OS wie Hardware dienen ausschließlich dem schnellen und problemlosen Zugang zu Internet und Webanwendungen. Alles ist synchronisiert mit den Wolken, lokal erfolgt nur noch eine Zwischenspeicherung.
„Schnell, einfach, sicher“
Nur darum geht es, verkündeten Googles Entwickler wie ein Mantra. Chrome, das Betriebssystem, startet in Chrome, den Browser. Alle Anwendungen sind Webanwendungen und laufen im Browser. Sie sind direkt zu erreichen über die „Application Tabs“, die schmaleren Tabs links. Sie bleiben unbeeinflusst vom Öffnen und Schließen der gewohnten Browser-Tabs, die sich rechts davon anschließen.
Das erste Tab präsentiert das „Application Menu“ aus dem heraus sich die bevorzugten Anwendungen aufrufen lassen. Die Anwendungen können und dürfen auch eigene, beständige Fenster im Vordergrund öffnen. Sie heißen „Panels“, nicht etwa Windows, erlauben zum Beispiel die Texteingabe über ein „Notepad“, Instant Messaging oder die Steuerung gestreamter Medien wie hier eines U2-Songs von Myspace. Für mehr Windows-Gefühl dürfen auch mehre Panels gleichzeitig geöffnet sein.
Ein Spiel zwischendurch dank Adobe Flash? Auch Microsoft Silverlight möchte man gerne unterstützen, sagt Google, und Mediencodecs jeder Art.
Google Books macht das Chrome-Netbook (das auch ein Tablet sein könnte) ein Stück weit zum E-Book-Reader. Die Buchseiten dürfen sich auch auf den vollen Bildschirm ausdehnen.
Chrome OS soll übliche Kameras und Handys erkennen, USB-Speichersticks und SD-Cards. Dateien von externen Speichermedien öffnen sich in den jeweils bevorzugten Webanwendungen. Die auch Microsoft gerne beisteuern darf, wie die Entwickler betonten.
Vieles ist noch nicht da ein Jahr vor der geplanten Veröffentlichung von Chrome OS. Versprochen sind zum Beispiel Druckfunktionen, die es offenbar noch nicht gibt. Die Rede ist von „innovativen Drucktechnologien“, mit denen man sich beschäftige.
Der Browser schiebt sich vor den Desktop
Die Kurzfassung: Alles, was in Chrome als Browser läuft, läuft auch in Chrome OS. Das Betriebssystem hat nur noch eine Aufgabe, in den Browser zu starten. Das ballastfreie OS und dafür optimierte Hardware sorgen für blitzschnelle Bootzeiten innerhalb weniger Sekunden. Lokale Anwendungen waren gestern, nie wieder Software installieren. Ein stringentes Sicherheitsmodell verspricht besseren Schutz vor Malware als je zuvor: Das Betriebssystem überprüft seine eigene Integrität, jede Webanwendung läuft in ihrer eigenen Sandbox.
Den PC, wie wir ihn kennen, kann Chrome OS heute und morgen nicht ersetzen. Nicht einmal Google erwartet das. Noch können Webanwendungen lange nicht alles abdecken, was die Software der etablierten Betriebssysteme kann.
Chrome OS ist eine praktische OS-Alternative für Netbooks und Tablets, die immer mit dabei sind, legen die Google-Entwickler nahe. Den Desktop-PC und das Notebook wollen sie sich erst später vornehmen.
(bk)
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Abbildungen: Google Chrome OS Webcast