Amazon und die Orwell-Affäre
Von Bernd Kling am 20. Juli 2009
Du hast gedacht, du kannst E-Books bei Amazon käuflich erwerben? Unwahr. Du bekommst nur die Lizenz zum Lesen, und sie können sie jederzeit wieder löschen. Wahr.
Das geht sogar mit mehr oder weniger rechten Dingen zu. Amazon beruft sich auf Copyright-Ansprüche, die zuvor nicht geprüft wurden. Es traf nun ausgerechnet die Orwell-Bücher 1984 und Animal Farm. Die Löschexperten bei Amazon haben sich nicht mal was dabei gedacht. Sie spielten ein wenig Big Brother, weil sie es eben können.
Sie löschten die beiden Buchtitel aus der Ferne auf den Geräten, die per Mobilfunk angebunden sind, um neue Bücher zu bekommen. Ohne Vorwarnung, ohne etwas zu erklären. Die Erklärung dafür lieferten sie erst später nach, als wütende Kunden zu fragen wagten. Das verwirrende internationale Copyright, das in den USA inzwischen mit drastisch verlängerten Laufzeiten gilt, war der Auslöser.
Amazon hatte die beiden Orwell-Bücher, die in vielen Ländern bereits frei von Urheberrechten sind, als „Kindle Edition“ in formatierter Form für jeweils 99 Cents angeboten. Stellte sich allerdings heraus, dass sie in den USA noch immer unter Copyright stehen, während sie in anderen Ländern längst in die Public Domain abgewandert sind, wie es Verleger MobileReference erklärt:
„Dieses Werk ist frei von Rechten in Kanada, Australien und anderen Ländern. In einigen Ländern steht es möglicherweise noch immer unter Copyright. Der Benutzer sollte sich vergewissern, ob das Werk in seinem Land frei von Rechten ist, bevor er es nutzt.“
Als sich die Inhaber der noch bestehenden US-Rechte der Orwell-Bücher an Amazon wandte, drückten sie dort einfach auf die Löschtaste und entfernten die bereits „verkauften“ Bücher von den E-Book-Lesegeräten ihrer Kunden. Überraschung. Die Bücher haben dir nie gehört, du hattest nur so eine Art Lizenz, sie auf Amazons E-Book-Reader Kindle zu lesen:
„Amazon grants you the non-exclusive right to keep a permanent copy of the applicable Digital Content and to view, use, and display such Digital Content an unlimited number of times, solely on the Device or as authorized by Amazon as part of the Service and solely for your personal, non-commercial use.“
Die Bücher gehören dir noch lange nicht, nur weil du dafür bezahlt hast. Du kannst sie nicht weiterverkaufen, nicht einmal verleihen:
„Unless specifically indicated otherwise, you may not sell, rent, lease, distribute, broadcast, sublicense or otherwise assign any rights to the Digital Content or any portion of it to any third party…“
Ist nicht nur bei Amazon so, auch Apple hat in der Vereinbarung für den Itunes Store ganz ähnliche Klauseln untergebracht:
„Apple and its licensors reserve the right to change, suspend, remove, or disable access to any Products, content, or other materials comprising a part of the Service at any time without notice.
Wir sollten eben immer erst das Kleingedruckte gelesen, bevor wir echtes Geld für trügerische Ware ausgeben. Sonst geht es uns wie Bruce Schneier, dem höchst frustrierten Besitzer eines Amazon Kindle. Der bekannte Experte für Computersicherheit und Chief Security Technology Officer von British Telecom zu Amazons Orwell-Affäre:
„Das zeigt die geringen Rechte, die der Käufer eines E-Books von Amazon hat. Als Kindle-Besitzer bin ich frustriert. Ich kann keine Bücher verleihen und ich kann Bücher nicht verkaufen, wenn ich sie gelesen haben. Wie sich jetzt herausstellt, kann ich nicht einmal sicher sein, meine Bücher morgen noch zu haben.“
(bk)
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