China und die "Google-Republik"

Von am 13. Januar 2010  

Unterschiedliche Suchergebnisse bei Google: Tiananmen-Platz mit und ohne Massaker

Die einen bejubeln Googles überraschendes Eintreten für die Meinungsfreiheit, andere unterstellen einen raffinierten PR-Coup, wirtschaftliche Gründe oder gar eine Machtdemonstration. Vieles liest sich wie schneller geschrieben als gedacht. Nicht nur in China bricht die Angst vor der „Google-Republik“ aus.

Aber wird sich Google tatsächlich aus China zurückziehen?

Jeff Jarvis, Autor des Buchs „What Would Google Do?“, überschlägt sich fast vor Begeisterung über Googles Einsatz für die Meinungsfreiheit:

„Ich bin erstaunt und erfreut über die Nachricht, dass Google nicht länger Suchergebnisse nach den Wünschen der chinesischen Regierung zensieren möchte und damit droht, sich aus dem Markt zurückziehen … Ich applaudiere Google dafür, endlich der chinesischen Diktatur die Stirn zu bieten und für freie Meinungsäußerung einzutreten.
Werden die Menschen in China revoltieren, weil sie Google verlieren? Wir können es nur hoffen. Werden auch andere Unternehmen gezwungen sein zu zögern, bevor sie nach der Pfeife der Diktatoren tanzen? Wir können es nur hoffen. Wird Google durch die Wall Street abgestraft werden? Vermutlich. Aber wir sollten hoffen, dass Googles Gelöbnis ‚Sei nicht böse‘ eines Tages eingemeißelt über den Eingängen der Wall Street steht.“

Wer fürchtet sich vor der „Google-Republik?“

„Die Zeit“ hingegen, die noch immer als liberale Wochenzeitung gilt, stilisiert Googles Zensurabsage zur „Machtdemonstration“ und erinnert an den Begriff Banananrepublik , der durch die United Fruit Company entstand, heute als Chiquita bekannt, die sich in die Politik mittelamerikanischer Regierungen einmischte und sogar den Sturz von Regierungen betrieb.

Unerhört, nicht einmal große Industrienationen wie Deutschland oder die USA wagten ernsthaft, sich mit China anzulegen. Der Konzern aber betrachte sich als mächtig genug, auf einen der größten Märkte der Welt verzichten zu können. In der Folge entwickle sich in Google „ein neues quasistaatliches Gebilde“, die Google-Republik.

Verstehen wir diesen Zeit-Schreiber wirklich richtig? Hält er es tatsächlich für böse, wenn jemand nicht vor einem autoritären Regime kuscht und zensiert? Und wie freiheitlich ist das denn – oder einfach nur wirtschaftsliberal?

„Geschickter Schachzug von Google“

Einen „geschickten Schachzug von Google“ nennt es das Handelsblatt. Die Firmenlenker verständen es eben, sich gekonnt in Szene zu setzen, und der in Aussicht gestellte Rückzug aus China sei das beste Beispiel dafür. „Finanziell weich gebettet“ könnten sie sich das eben locker erlauben und hätten auch noch gute Argumente gegen lauter werdende Kritik.

Glauben diese Handelsexperten tatsächlich, ein PR-Veranstaltung wäre es wert, den chinesischen Markt für alle Google-Dienste aufzugeben? Google ist zwar kein Marktführer in China und hat darauf nur wenig Aussichten, hat den Suchanteil aber laut Business Week, Marketwatch und anderen Wirtschaftspublikationen immerhin in drei Jahren auf rund 35 Prozent verdoppelt.

In eine ähnliche Kerbe schlägt das Münchner Nachrichtenmagazin Focus. Es rechnet den Marktanteil Googles in China mit einer anderen Quelle auf 14,1 Prozent herunter – während die meisten Quellen von deutlich höheren Anteilen ausgehen – und unterstellt, Googles Geschäfte liefen eben nicht besonders gut. Es sei doch fraglich, dass es Google „wirklich ausschließlich um Menschenrechte geht“.

„Die chinesischen Web-Unternehmen kommen“

Noch härter mit der Business-Wirklichkeit argumentiert Sarah Lacy bei Techcrunch. Sie stellt sich ebenfalls hinter die These mäßiger Geschäfte. Google habe sich klar entschieden, dass sich das Geschäft in China nicht lohnt, werfe Ballast ab und verwandle das in eine positive Marketing-Botschaft für den Rest der Welt.

Google reiße bereits die Brücken ab, unterstellt sie weiterhin. Zumindest in diesem Punkt klingt sie überzeugend: „So läuft es nicht mit Verhandlungen in China, und Google ist dort weit genug gekommen, um das zu wissen. Man erhält keine Ergebnisse, indem man die Regierung in einem öffentlichen Blog-Beitrag in englischer Sprache öffentlich unter Druck setzt. Wenn Google tatsächlich weiter mit der Regierung zusammenarbeiten wollte, dann wäre dieser Text nicht veröffentlicht worden, denn er ist wie das Zuschlagen aller Türen.“

Überhaupt sehe die Zukunft ganz anders aus, eine umgekehrte Entwicklung sei zu erwarten. Chinesische Web-Unternehmen verfügten inzwischen über hohe Geldreserven und dürften schon bald als Aufkäufer US-amerikanischer Startup-Unternehmen auftreten. Und was werde das Silicon Valley wohl dazu sagen?

(bk)

Abbildung: Rory Finneren / CC

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