Multitasking oder Was für ein Clown auf einem Einrad?

Von am 24. Januar 2010 2 Kommentare 

Forscher beweisen, wie wenig Multitasking der Mensch wirklich kann. Mit überraschend bunten Ergebnissen. Was auch erklärt, warum manche telefonierend unter einen nahenden Zug oder gegen einen Lastwagen laufen. Und schon gar nicht für Multitasking beim Fahren spricht, zu dem Infotainment-Systeme in Fahrzeugen verleiten.

Die Versuchsanordnung war bunt, die Ergebnisse sind eindeutig. Selbst zwei einfache Aufgaben – gleichzeitig zu Fuß gehen und mit dem Handy telefonieren – bereiten Probleme und verringern die Wahrnehmung der eigenen Umwelt drastisch. Es erklärt auch, warum manche telefonierend unter einen nahenden Zug oder gegen einen Lastwagen laufen.

Es kann tödlich enden wie kürzlich, als eine deutsche Schülerin mit dem Handy in der Hand im Nebel über Bahngleise lief. In den USA verdoppelt sich jährlich die Zahl der Handy-abgelenkten Fußgänger, die in der Notaufnahme landen. Dazu kommen E-Mails und SMS-Nachrichten, die zunehmend beim Fahren oder Laufen mit dem Smartphone abgesetzt werden.

Multitasking beim Fahren

Mit Sync und MyFord ist ein führender Autohersteller dabei, solche Ablenkungsmöglichkeiten direkt in das Auto einzubauen, will seine Kunden mit Sync und Multitasking fahren lassen. Ford-Chef Alan Mulally argumentiert dabei auf kritische Nachfragen stets, es erhöhe sogar die Sicherheit, da weitgehend sprachgesteuert. Das neue Infotainment-System mit Touchscreen, in diesem Monat zur CES vorgestellt und zusammen mit Microsoft entwickelt, soll dem gelangweilten Fahrer unter anderem das Diktieren von E-Mails und SMS-Nachrichten während der Fahrt ermöglichen.

Psychologie-Professor Ira Hyman von der Western Washington University ging zusammen mit seinen Studenten der Frage nach, inwieweit nicht nur Autofahrer, sondern auch Fußgänger durch die ständige Interaktion mit dem Handy abgelenkt werden. In einer ersten Studie stellte er fest, dass sich telefonierende Fußgänger langsamer bewegten, häufiger die Richtung wechselten oder gar vom Weg abkamen. Sie unterließen es auch eher, andere mit einem Kopfnicken oder einer Handbewegung zu grüßen.

Wer hat den Clown gesehen?

Im zweiten Feldversuch hatte der Einrad fahrende Clown seinen großen Auftritt. Ein Student kostümierte sich mit einem Clowngewandt in Purpur und Gelb, mit einem Punktmuster auf den Ärmeln, roten Schuhen und einer knolligen roten Nase. Er bestieg ein Einrad und fuhr ungefähr eine Stunde kreuz und quer über einen belebten Platz auf dem Hochschulgelände.

Nachdem Fußgänger den Platz überquert hatten, wurden sie von den Forschern angehalten und danach gefragt, ob ihnen denn etwas Ungewöhnliches aufgefallen wäre. Knapp 60 Prozent der Befragten, die zu zweit unterwegs waren, erwähnten den Clown. Unter den Handynutzern, die telefonierend spazieren waren, erinnerten sich hingegen nur 8 Prozent auf Anhieb an den radelnden Clown.

Auch die direkte Nachfrage, ob man vielleicht den Clown auf dem Einrad gesehen habe, brachte ähnliche Ergebnisse. 71 Prozent derer, die mit Freund oder Freundin gingen, erinnerten sich an den Clown. Immerhin 61 Prozent von denen, die unterwegs Musik hörten, konnten sich an ihn erinnern, und 51 Prozent der Fußgänger, die allein unterwegs waren. Weit abgeschlagen auch hier wieder Handy-telefonierende Fußgänger, von denen sich nur 25 Prozent erinnern konnten, einen Clown auf einem Einrad gesehen zu haben.

„Es ist ein großer Abfall in der bewussten Erfahrung ihrer Umwelt“, bewertet Dr. Hyman das Ergebnis. „Es zeigt, das bei einer so einfachen Tätigkeit wie dem Laufen die Aufmerksamkeit abfällt, wenn man über ein Handy telefoniert. Sie sind langsamer, sich weniger ihrer Umgebung bewusst, und bewegen sich auf weniger geraden Wegen. Es zeigt, um wie viel schlimmer es wäre, wenn sie ein Auto fahren, was einer sehr viel komplexeren Tätigkeit entspricht.“

Blind durch Unaufmerksamkeit

Die Forscher gehen von einer „Unaufmerksamkeits-Blindheit“ aus. Sie könnte beim Handy-Telefonieren entstehen, vermutet der Neurowissenschaftler Adam Gazzaley, weil das Gespräch über ein Mobiltelefon nicht nur auditive Verarbeitungsfunktionen im Gehirn beanspruche. In dieser Kombination könnten vielmehr visuelle Bilder, bezogen auf die Unterhaltung, hervorgerufen werden in einer Weise, die die gleichzeitige Verarbeitung der realen Wahrnehmungen erschwert.

Obwohl nicht die erste Untersuchung dieser Art, illustriert die clowneske Studie das eigentlich erschreckende Ergebnis auf besonders originelle Weise. Die befragten Handynutzer zeigten sich selbst äußerst überrascht, dass sie den Clown nicht bemerkt hatten. Das ist wiederum wenig überraschend, denn andere Untersuchungen bewiesen bereits die Selbsttäuschung der Multitasker.

Eine Studie der Stanford University brachte das Ergebnis, dass gerade „high multitaskers“, die sich gewohnheitsmäßig dem vielfachen Medienkonsum hingeben und selbst überzeugt sind, verschiedene Dinge gleichzeitig tun und wahrnehmen zu können, besonders schlecht in Sachen Multitasking sind. Sie schnitten mit Aufmerksamkeit und Gedächtnisleistung bei klassischen psychologischen Tests deutlich schlechter ab als Probanden, die weniger zu einer Multitasking-Lebensweise neigen.

Als ungeklärt gelten Ursache und Wirkung. Könnte es Leute mit geringen Multitasking-Fähigkeiten zu einer von Multitasking geprägten Lebensweise ziehen, oder verringert das ständige Multitasking eben diese Fähigkeiten? Professor Cliff Nass von der Stanford University will dem mit weiteren Untersuchungen nachgehen: „Die Gesellschaft entwickelt immer mehr Mittel, um Multitasking zu erleichtern. Es stellt sich die Frage, ob das gut ist.“

(bk)

Abbildung: Micky / CC

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Kommentare

2 Stellungnahmen zu “Multitasking oder Was für ein Clown auf einem Einrad?”
  1. Anonymous sagt:

    „71 Prozent derer, die mit Freund oder Freundin gingen, erinnerten sich an den Clown. Immerhin 61 Prozent von denen, die unterwegs Musik hörten, konnten sich an ihn erinnern, und 51 Prozent der Fußgänger, die allein unterwegs waren.“

    Häh? Also, wer läuft mit einem Partner durch die Gegend und hört dabei Musik?
    Oder sind die 61%-Leute auch Einzelgänger, sind aber -trotz Musik- aufmerksamer als die 51%-Leute???
    Ich dachte immer, die Musikhörer bekommen weniger mit, weil ihnen die akustischen Reize fehlen…

    Hier kann etwas nicht stimmen!

  2. Bernd Kling sagt:

    Geheimnisse der statistischen Auswertung … so berichtet von Applied Cognitive Psychology und New York Times (Zahlen nochmal verglichen).

    Bei denen, die zu zweit unterwegs sind, sieht häufiger einer den Clown und stößt den anderen an, so erkläre ich mir das. Aber sind Leute, die einzeln unterwegs sind, tiefer in sich versunken als die mit iPod? Die schlüssige Erklärung dafür will mir auch nicht einfallen.