Nexus One – erste Erfahrungen und Eindrücke
Von Bernd Kling am 6. Januar 2010
Die Urteile schwanken zwischen „kein echter Rivale für das iPhone“ und „mit Nexus One begegnen sich Handy und Web“. Und alle vergleichen mit Apples iPhone, was sich schon bald ändern könnte.
Auftritt David Pogue, der auch zu den von Steve Jobs persönlich auserwählten Vortestern gehört, die als erste die jeweils neue iPhone-Generation in die Hände bekommen und darüber schreiben dürfen. Seiner erkennbaren Nähe zu Steve Jobs und Apple wegen erklärt er selbst, ein Entertainer und nicht etwa ein Journalist zu sein, um nicht den klaren Regeln der New York Times für unabhängige Berichterstattung unterworfen zu sein. Pogue durfte sich in der Times auch das neue Android-Phone Nexus One der Marke Google vornehmen und kommt nach einleitenden Sätzen schnell zum Schluss: „Aber in Wahrheit ist die Google-Neuheit in dieser Woche nicht so welterschütternd, wie Google zu glauben scheint.“
„Kommt nicht an das iPhone heran“
Nexus One habe zwar fast genau Größe und Form des iPhone, doch sehe es einfach langweilig aus wie fast alle Handys von HTC. Dünn und abgerundet sei es, fühle sich großartig an in der Hand. Gut beladen sei es mit glänzenden, attraktiven Features: Geschwindigkeit, augenblickliche, fließende Reaktionen, das große Display mit weit höherer Auflösung als das iPhone. Den Verzicht auf eine mechanische Tastatur kompensiere relativ gut die Spracherkennung, die an allen Punkten diktieren lässt, an denen Texte einzugeben sind. Besonders beeindruckend die kostenlose Navigation mit Google Maps. Bessere Integration mit YouTube, Picasa, Facebook und all dem. Fünf Homescreens zum Befüllen mit App-Icons.
Nach so viel relativem Lob kommen Pogues Tiefschläge: Aber Googles App Store sei viel kleiner, habe nur 18.000 lustige kleine Spiele, während es weit über 100.000 für das iPhone gebe. Keine Software in der Art von iTunes. Kein mechanischer Button, um den Klingelton an- und abzustellen. Kein Multitouch, daher „ist das Hineinzoomen in Fotos und Webseiten umständlich und schwer zu kontrollieren“. Und überhaupt, das Nexus erreicht einfach nicht Ausführung und Verarbeitung des iPhone.
Die grundlegende Neuerung in den USA, die Google mit dem Verkauf über einen Webstore einführt, unabhängig von der Zwangsbindung an einen exklusiven Netzbetreiber wie bei Apple, schließlich erklärt Pogue zum „puren, albernen Idealismus“, um sich lange und richtig ausdauernd darüber aufzuregen. Mit dieser Strategie scheint Google etwas getroffen zu haben, und nicht nur bei David Pogue.
„Der Android Market rockt“
Als bekennender iPhone-Fan geht auch Tim O’Reilly vom gleichnamigen Verlag an Nexus One heran, das er als möglichen Wendepunkt für Android OS sieht: „Ich war ein großer iPhone-Fan, aber nachdem ich Nexus One für einige Wochen benutzt habe, gefällt mir soviel daran, dass ich kurz davor bin, Android zu meiner Nummer eins zu machen. Obwohl ich noch immer zum iPhone zurückkehren könnte, bin ich unschlüssig.“
Entscheidend sei für ihn nicht gewesen, wie gut Nexus One gemacht ist, dünn, schnell und schön. Nicht Features wie die sprachgesteuerte Suche, Navigation und Dateneingabe. Auch nicht der Umstand, dass die Smartphones direkt von Google und ohne erzwungenes Vertragsbundling zu erwerben sind. Für O’Reilly war es vielmehr „Googles Engagement, Nexus One als natives Gerät für das Web zu gestalten“.
Der Android Market „rockt“ für ihn, ganz anders als bei Pogue zu lesen. Er lobt die Ein-Klick-Erfahrung ohne einen Zwischenschritt der Synchronisation, und hält die Auswahl für gut, täglich ergänzt durch neue Angebote: „Ich habe viel mehr Spaß mit der Sichtung und Erprobung neuer Apps gehabt als jemals zuvor beim Iphone.“ Googles Bezahlsystem Checkout sei ähnlich einfach, höchst lobenswert die Sicherheitswarnungen, die zu jedem App-Download verraten, auf welche Systemfunktionen die jeweilige Anwendung Zugriff hat.
Gmail komme auf Nexus One so gut, dass er sich erstmals vorstellen kann, ganz auf sein Notebook zu verzichten. Weitere Pluspunkte: Adressbuch und Kalender müssen niemals synchronisiert werden, sind immer aktuell. Dank Multitasking wirkt das Gerät weit mehr wie ein richtiger Computer. Die Karten der Navigation und die Richtungsanweisungen sind großartig, mal abgesehen von der schrecklichen Ansagerstimme. Noch etwas ungeschliffen die Diktierfunktion und die Bilderkennung Google Goggles, eine laufende Verbesserung jedoch zu erwarten, da ihre Verarbeitung „in der Wolke“ erfolgt.
Etwas weniger intuitiv als das iPhone sei Nexus One allerdings, definitiv eine Lernerfahrung, die sich aber schon bald auszahle. Der fehlende Zugriff auf seine Musiksammlung bei iTunes drängte ihn zu Online-Musikdiensten wie Last.FM und Pandora. Googles integrierte Musik-Anwendung hält er für deutlich verbesserungsfähig. Visual Voicemail ging O’Reilly ab, Google habe vermutlich „dank unseres wunderbaren Patentsystems“ nichts Vergleichbares umsetzen können.
Obwohl er wisse, dass Multitouch zu Android kommt, habe er es schmerzhaft vermisst: „Ich liebe die Erfahrung auf dem iPhone, mit einer Pinch-Geste zu zoomen. Mehr noch, das Ansprechvermögen des Touchscreens auf dem Nexus One lässt viel zu wünschen übrig. Ziehen scheint er gut anzunehmen, aber einige Button-Klicks werden nicht erkannt, wenn man nicht fest drückt.“
„Wie im PC-Markt vor 25 Jahren“
Insgesamt schätzt er Googles Smartphone als gut genug ein, um das noch vor Monaten Undenkbare vorstellbar zu machen: Die Wiederholung von Apples Erfahrung im PC-Markt vor 25 Jahren, als Apple seine Pionierrolle schnell wieder verlor. Google habe einen gewaltigen Vorsprung in Anwendungen, die auf Cloud Computing und Algorithmen basieren, entscheidend für die Zukunft des Computing. O’Reilly sieht gute Karten für Google:
„Wir bewegen uns aus der Ära, in der vor allem das Gerät wichtig war und das Web eine Erweiterung, in eine Ära, in der ein Gerät und seine Anwendungen grundlegend vom Internet-Betriebssystem abhängen, das Ortsbestimmung, Spracherkennung, Bilderkennung, social network awareness und andere grundlegende Datendienste bereithält.“
(bk)
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Abbildung: Google