Warum Google sich mit China anlegt

Von am 14. Januar 2010  

Viel wurde spekuliert über die Motive Googles, insbesondere in Wirtschaftspublikationen. Das Wall Street Journal meint die Hintergründe besser zu kennen.

Der erste Reflex von Handelsblatt & Co bestand darin, einen schlichten PR-Gag zu vermuten. Offensichtlich zu kurz gedacht, denn es erscheint mehr als unsinnig, dass ein Unternehmen wie Google dafür den Rückzug aus dem chinesischen Markt mit allen Diensten riskiert.

Vereinzelt kamen Hinweise, insbesondere Google-Mitgründer Sergey Brin – geprägt von seiner frühen Kindheit im sowjetischen Russland – sei schon länger unglücklich mit Googles angepasstem Verhalten in China, das wie andere Wettbewerber die Zensurwünsche der chinesischen Regierung umsetzte. Nicht erst seit kurzem gebe es eine intensive Debatte innerhalb von Google darüber. Die Hacker-Attacken aus China hätten möglicherweise den Ausschlag gegeben zu einer entschiedeneren Haltung, das Fass endlich zum Überlaufen gebracht.

Ein Bericht des Journal bestätigt das heute unter Berufung auf gesicherte Quellen, die berühmten „zwei Personen, die mit den Diskussionen vertraut sind“. Die Google-Troika, bestehend aus CEO Eric Schmidt sowie den Gründern Larry Page und Sergey Brin, sei sich in dieser Frage lange nicht einig gewesen. Auf der einen Seite stand Brin als inoffizielles Gewissen des Unternehmens und Verteidiger des Grundsatzes „Sei nicht böse“, auf der anderen Seite Schmidt, der auch schon mit Sentenzen wie „Wer nichts zu verbergen hat“ über Privatsphäre parlierte.

„Unternehmen schweigen über die Attacken“

Vor einigen Wochen fanden Googles Mitarbeiter offenbar heraus, dass gezielte Hacker-Angriffe mit China und den chinesischen Behörden in Verbindung standen. Das Trio beriet über mögliche Antworten und debattierte intensiv darüber, ob das Unternehmen in China bleiben und versuchen sollte zu helfen, das Regime von innen zu ändern, oder besser das Land verlassen. Schmidt argumentierte wie schon zuvor, Geschäfte in China seien durchaus moralisch als eine Anstrengung, das Regime zu öffnen. Brin sprach sich energisch dagegen aus, denn das Unternehmen habe es lange genug versucht und die Zensur der Suchergebnisse sei damit nicht länger zu rechtfertigen.

Die Diskussionsrunde einigte sich schließlich, die Attacke öffentlich zu machen und damit zu durchbrechen, was sie als „eine verschwörerische Kultur von Unternehmen sahen, über Attacken dieser Art zu schweigen“ – so bestätigt durch „eine Person, die mit der Angelegenheit vertraut ist“.

Es kam zu verschiedenen Entwürfen für eine öffentliche Stellungnahme, konzipiert von Rachel Whetstone, bei Google vice president of public policy and communications. Das Führungstrio von Google kam überein, dass der später als Blog-Beitrag veröffentlichte Text auch klare Sätze über Menschenrechte enthalten sollte. Daraus wurde ein Abschnitt, Google werde die eigenen geschäftlichen Aktivitäten überprüfen nach den Attacken „und in Zusammenhang mit den Versuchen im letzten Jahr, die freie Meinungsäußerung im Web weiter einzuschränken“.

Um die chinesischen Mitarbeiter Googles aus der Schusslinie zu nehmen und vor möglicher Vergeltung zu schützen, nahmen die Gründer und ihre Berater noch den zusätzlichen Hinweis auf, dieser Schritt sei „durch unsere Manager in den USA, ohne Kenntnis oder Mitwirkung unserer Angestellten in China“ erfolgt. Weitere Google-Manager erfuhren von der Absicht erst am Montag, bevor der Blog-Beitrag am Dienstag veröffentlicht wurde und seine Wirkung entfaltete.

„Das Investment-Klima stützt Chinas Regierung“

Einen indirekten Kommentar dazu gibt Rebecca MacKinnon, die an einem Buch über China und das Internet arbeitet. Sie sieht die chinesische Diktatur letztlich mit getragen durch Investitionen aus dem Ausland. Aus genau diesem Grund erwartet sie nicht, dass Chinas Regime so unerwartet und schnell den Halt verliert wie vor 20 Jahren die Regierungen Osteuropas:

„China ist heute in einer ganz anderen Lage als das Osteuropa der Sowjetzeit. Es ist unwahrscheinlich, dass sein gegenwärtiges politisches System – oder sein System der ‚großen Firewall‘, ausländische Websites zu blockieren – schon bald wie die Berliner Mauer zerbröckeln wird. Beide werden gestützt und ermöglicht durch das gegenwärtige geopolitische, Business- und Investment-Klima in einer Weise, wie es nie für das Osteuropa der Sowjetzeit und den Eisernen Vorhang galt.“

Sie erwartet allerdings, dass auch die Chinesen noch zu ihren Lebzeiten alles darüber erfahren werden, wie sich Internet-Unternehmen mit ihrer einstigen Regierung absprachen. Google bewege sich zur richtigen Seite der Geschichte, sagt sie vieldeutig.

Tatsächlich sprechen das chinesische Ausmaß von Zensur und Informationsunterdrückung nicht für eine Regierungsform, die sich ihrer Macht sicher ist. Wenn Google China verlässt oder verlassen muss, könnten weitere Unternehmen folgen oder sich gar nicht erst ansiedeln. Ein sich verschlechterndes Investitionsklima aber kann zu einer verringerten Stabilität beitragen.

Es sind zudem die neue Mittelklasse, Studenten und gut ausgebildete Unternehmensmanager, die Dienste wie Google Mail und Google Docs intensiv nutzen. Millionen von ihnen sind hellhörig geworden durch den drohenden Auszug Googles und machen ihrem Ärger im Microblogging-Dienst Sina.cn Luft. Sie scheinen ganz überwiegend auf Seiten Googles und nicht ihrer Regierung zu stehen, wie ein Meinungsbild aus der chinesischen Twittersphäre zeigt: „Nicht Google wendet sich von China ab, sondern China wendet sich von der Welt ab“.

(bk)

Abbildung: Brian Sawyer / CC (Suche bei Google.cn)

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