Wie die Times sich von der "SEO-Tyrannei" befreite und 86 Prozent ihrer Online-Leser verlor
Von Bernd Kling am 6. Dezember 2010
Neuer Qualitätsjournalismus hinter den Bezahlmauern?
Seit fünf Monaten verbirgt sich die britische Times hinter Bezahlmauern, weil es Medienmogul Rupert Murdoch so wollte. Sie nennt es einen Erfolg, aber noch immer keine belastbaren Zahlen, die es bestätigen könnten.
Stattdessen kamen bei einer Konferenz über Zeitungen und ihre Zukunft nur vage und eher defensive Aussagen: „Praktisch keine der Vorhersagen über das, was passieren würde, sind eingetroffen.“
Tatsächlich verlor die Tageszeitung nach einer aktuellen Erhebung von Oliver & Ohlbaum Associates 86 Prozent ihrer früheren Online-Leser. Nur 14 Prozent ließen sich trotz der günstigen Einstiegsangebote (nur 1 Britisches Pfund und die „iPad Edition“ noch als Bonus obendrauf) als Abonnenten registrieren. 35 Prozent derer, die The Times nicht mehr online lesen, wechselten zu einer anderen Site – und die überwiegende Mehrheit von ihnen zur BBC.
„Für Menschen statt Maschinen schreiben“
Die Bezahlmauern kommen, der Googlebot geht. Das muss als entscheidendes Argument herhalten, mit dem die Verlage ihr Bezahlmodell für das Web zu rechtfertigen wagen: Keine Suchmaschinenoptimierung mehr, wir schreiben wieder für unsere Leser.
Die Zeitungsmacher von Murdochs News International rühmten sich beim Westminster Media Forum, mit dem Bezahlmodell für ihre Inhalte die Tyrannei von SEO abgeschüttelt zu haben – ihre Journalisten könnten endlich wieder Geschichten für Menschen statt für Roboter schreiben. Dem schloss sich MB Christie an, bei der Financial Times für Produktmanagement verantwortlich:
„Unsere Überschriften sind für Menschen und nicht für Maschinen geschrieben. Das zeigt sich darin, dass die Leser mehr Zeit auf der Site verbringen als zuvor, und sie besuchen sie häufiger.“
Und immer an die Leser denken: War das nicht schon mal? Und wie konnten sie das vergessen?
Screenshot: TheTimes.co.uk